14.05.2014

Eckpunkte zu einem Bundesleistungsgesetz zur Teilhabe von Menschen mit Behinderung

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) hat eine Stellungnahme und Forderung mit 15 Eckpunkten zur Ausgestaltung des Bundesleistungsgesetztes veröffentlicht, die im Folgenden zusammenfassend dargelegt werden:

1.       Ausgangssituation
Die Kosten für die Eingliederungshilfe SGB XII sollen mit dem neuen Bundesleistungsgesetz (BLG) vom Bund oder zumindest z.T. aus Bundesmitteln finanziert werden. Die BAGFW fordert aber auch weitere konzeptionelle Änderungen.
2.       Fachlich-konzeptionelle Leitlinien eines zukünftigen Teilhabeleistungsrechts
Unter der Leitidee der Inklusion müssen zukünftige Teilhabeleistungen, zusätzlich zu den aktuellen Maßnahmen, darauf abzielen Benachteiligungen auszugleichen, die sich (z.B. durch mangelnde Barrierefreiheit) zur gesellschaftlichen Teilhabe ergeben. Die Leistungen müssen daher den Ausgleich von einstellungs- und umweltbedingten Barrieren in den Blick nehmen und das Individualisierungs- und Bedarfsdeckungsprinzip muss weiterhin gelten.
3.       Neudefinition des Behindertenbegriffs
Eine Neudefinition des Begriffs muss den erweiterten sozialen Behinderungsbegriff (im Sinne der UN-BRK) aufgreifen und die Wechselwirkungen mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren berücksichtigen. Die Definition sollte mindestens die „Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit“ (ICF) als Grundlage haben.
Desweiteren muss zwischen empirisch wahrnehmbarer Beeinträchtigung und der daraus resultierenden Behinderung unterschieden werden. 
4.       Prozesshafte Beratung von Menschen mit Behinderungen
Um über selbstbestimmtes Leben entscheiden zu können, sind zugängliche Informationen über die Rechte in der Sozialgesetzgebung unausweichlich. Das führt zu folgenden Forderungen:
·         Aufbau einer frühzeitigen und kostenlosen Beratung bei einer qualifizierten, ausschließlich den Interessen der zu beratenden Person verpflichteten, anwaltschaftlichen Bewertungsstrukltur.
·         Eine plurale Beratungsstruktur auf kommunaler Ebene erfordert ggf. die Beteiligung vieler Institutionen. Die Auswahlentscheidung trifft der Mensch mit Handicap oder eine Person seines Vertrauens. 
 5.       Zugang zu Teilhabeleistungen
·         Das Wunsch- und Wahlrecht muss gestärkt werden. Da es nur individuell festlegbar ist, müssen Kriterien der Angemessenheit entwickelt werden. Eine Pauschalisierung der Kosten und damit eine Einschränkung des Wunsch- und Wahlrechtes ist aus Sicht der BAGFW nicht akzeptabel.
·         Die Individuelle Bedarfsdeckung darf weder durch das Alter noch durch das Ausmaß einer Behinderung begrenzt werden. Hierauf besteht ein Rechtsanspruch.
·         Leistungen zur Teilhabe sind zukünftig grundsätzlich einkommens- und vermögensunabhängig zu gewähren. Weder Ehepartner noch Angehörigen dürfen zu den Kosten der Teilhabeleistungen herangezogen werden, da es sich um den Ausgleich eines behinderungsbedingten Nachteils handelt.
 6.     Feststellung des Teilhabebedarfes und Teilhabeplanung in einem zukünftigen Leistungsrecht
Die BAGFW ist für die konsequente Stärkung und Umsetzung der Selbstbestimmungs- und Partizipationsrechte. Daher sieht die BAGFW bundeseinheitliche Kriterien zur Teilhabe-bedarfsfeststellung und –Planung als besonders wichtig an. Dabei sollte berücksichtigt werden,
·         ...dass die Individuelle Bedarfsfeststellung ein diskursiver Aushandlungsprozess ist. Das Verfahren ist dabei transparent und nachvollziehbar zu gestalten.
·         ...dass ein ICF-basiertes Verfahren zur Bedarfsfeststellung grundsätzlich alle Einschränkungen der Teilhabe erfassen muss.
·        ...dass die personenzentrierte Teilhabeplanung auf dem subjektiven Teilhabeverständnis des Leistungsberechtigten basieren muss.
·         ...dass eine Umsetzung der Ergebnisse in personenzentrierte Hilfen und auf Basis verbildlicher Gremienstrukturen erfolgen muss.
 7.       Ausgestaltung der Teilhabeleistungen
Die BAGFW ist für die Beibehaltung des offenen Leistungskatalogs und –Spektrums im Bereich der Eingliederungshilfeleistungen. Im Rahmen eines flexiblen, offenen Teilhabeleistungskataloges sind Leistungen zur Teilhabe, Beratungs- und Koordinationsleistungen und sozialräumlich-inklusionsbezogene Leistungen (Lotsenaufgaben) vorzuhalten. Daher fordert die BAGFW ein sozialarbeiterisches Case-Management, das vor allem eine sozial anwaltschaftlich ausgerichtete Beratungs-, Assistenz- und Koordinationsleistung anbietet. Dabei erfordert ein solches Case-Management flächendeckende und qualifizierte Lotsenstrukturen und muss ausschließlich den zu beratenden Personen verpflichtet sein.
Ferner muss das trägerübergreifende Persönliche Budget nach §17 SGB IX unabhängig von Art, Umfang und Schwere des Teilhabebedarfs nutzbar sein.
8.       Teilhabe am Arbeitsleben
Der allgemeine Arbeitsmarkt muss zu einem inklusiven Arbeitsmarkt weiterentwickelt werden. Das Persönliche Budget nach § 17 SGB IX ist auch bei Teilhabe am Arbeitsleben vollumfänglich nutzbar zu machen. (schließt auch die Budgetberatung und –Assistenz mit ein.)
Der Rechtsanspruch auf Leistungen zur Teilhabe an Beruflicher Bildung und am Arbeitsleben ist sicherzustellen. Restriktionen wie „Werkstattfähigkeit“ (§136 Abs. 2 SGB IX) sind aufzuheben und der Begriff der Beruflichen Bildung ist im Sinne einer „arbeitsweltbezogenen Bildungs-begleitung" zu erweitern.
Alternativen zur Beschäftigung in einer WfbM sind bereit zu stellen. Dabei sollte auch die Qualität der Teilhabeleistungen weiterentwickelt werden. Individualrechtliche Rechtsansprüche und sozialversicherungsrechtliche Sonderregelungen und ein unbürokratisches Rückkehrrecht in eine WfbM müssen sichergestellt werden.
9.       Teilhabe hat Vorrang vor Kosten- und Systemsteuerung
Die BAGFW fordert die konsequente Trennung der Beratungs- und Bedarfs-feststellungsleistungen von den leistungsregulierenden Aufgaben der Leistungsbewilligung, Kosten- und Systemsteuerung.
10.   Vertrags- und Vergütungsregelungen
Die Angebotsgestaltung und Vergütungskalkulation dürfen nicht von der Bedarfsmessung entkoppelt werden. Ein Bundesleistungsgesetz muss klarstellen, dass die Vergütung plausibel und wirtschaftlich angemessen ist.
11.   Überprüfbarkeit der Leistungen auf Basis wissenschaftlich-fundierter Kriterien
Wirtschaftlichkeit und Qualität müssen jederzeit nachprüfbar sein. Die Wirksamkeit kann nur im Kontext von Ergebnisqualitätsprüfungen gemessen werden, wofür bisher aber die wissenschaftlichen Voraussetzungen fehlen.
12.   Verortung der Teilhabeleistungen in einem reformierten SGB IX
Die Herauslösung der Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe ( SGB XII) und für die Verortung im SGB IX ist wünschenswert. Die Ausführung der Leistung muss dann nicht mehr beim Sozialhilfeträger angesiedelt werden. Entscheidend ist, dass die Leistungsträger flächendeckend eine wohnortnahe und sozialraumorientierte Leistungserbringung gewährleisten können.
13.   Wechselwirkungen zu anderen Sozialgesetzen
Die Wechselwirkungen bezüglich anderer leistungsrechtlicher Regelbereiche des Gesamtsystems sind zu überprüfen.
14.   Kommunale Verantwortung zur Gestaltung inklusionsorientierter Infrastruktur
Das Subsidiaritätsprinzip verlangt, dass die Aufgaben vor Ort übernommen werden. Daraus leitet sich ein besonderer Anspruch an die Kommunen ab. Sie sind daher dazu aufgefordert geeignete Instrumente zur Verankerung des Inklusionsansatzes in der kommunalen Daseinsvorsorge zu entwickeln. Für diese Aufgabe sind die Kommunenvom Bund finanziell auszustatten. 
15.   Bundesteilhabegeld
Das Bundesteilhabegeld benötigt ein Gesamtkonzept zur Ausgestaltung des Bundesleistungsgesetzes. Fragen von Seiten der BAGFW bleiben dabei an folgende Punkte:
·         Ziel und Zweck des Bundesteilhabegeldes im Kontext des Bundesleistungsgesetzes.
·         Anspruchsberechtigter Personenkreis und Zugangskriterien.
·         Leistungshöhe.
·         Binnenverhältnis zu anderen Teilhabeleistungen des BLG und Verhältnis zu weiteren Nachteilsausgleichen (Anrechenbarkeit von Leistungen).
·         Binnenverhältnis eines Bundesteilhabegeldes zu den Leistungen im Rahmen der kommunalen Daseinsvorsorge.
Inwieweit das Bundesteilhabegeld mit einem zukünftigen Bundesleistungsgesetz kompatibel ist, ist z.Z. nicht abschließend zu beurteilen.