24.11.2014

Tendenzbetriebe



1.    Definition „Tendenzbetrieb“

Tendenzbetriebe sind nach dem Betriebsverfassungsgesetzt (§ 118, Absatz 1) Unternehmen, deren „geistige-ideelle Zielrichtung unmittelbar und überwiegend politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, karitativen, erzieherischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Bestimmungen dienen“. Oder es sind „Betriebe, die im Rahmen der Pressefreiheit   Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung dienen“ (§ 118 Abs.2). Sprich ein Tendenzbetrieb verfolgt ausschließlich oder zusätzlich andere Ziele als finanzielle.
Tendenzbetriebe haben sich in den 1920er Jahre entwickelt.. Damals  waren Zeitungen fast ausschließlich in Parteibesitzt. Deshalb wurde der Tendenzschutz eingeführt. Damit sollte verhindert werden, dass politisch anders denkende Drucker und Setzer Einfluss auf die Ziele der Presseerzeugnisse nehmen konnten.

Um als Tendenzbetrieb anerkannt zu werden, sind folgende Voraussetzungen zu erfüllen:   

  • Das Unternehmen muss den Tendenzzwecken dienen.
  • Das Unternehmen muss selbst die tendenzgeschützten Zwecke verwirklichen.
  • Es müssen überwiegend tendenzgeschützte Zwecke bestehen (mehr als 50% tendenzverwirklichende Tätigkeiten).
  • Der Tendenzzweck muss sich aus der Satzung/ dem Gesellschaftsvertrag der  Einrichtung ergeben
Ferner folgt daraus, dass ein Tendenzbetrieb freiwillig, sprich ohne Gesetzespflicht, und uneigennützig handelt.

Beispiel für einen tendenzgeschützten Zweck (Erzieherischer Zweck)
Die Einrichtung muss auf die Erziehung von Menschen ausgerichtet sein, wie z.B. eine Schule. Hierbei muss die Vermittlung von allgemeinbildenden oder berufsbildenden Fächern, mit der die Persönlichkeit und Entwicklung eines Menschen geformt und gefördert wird, im Vordergrund stehen. Ferner können auch Einrichtungen, die keine Schulen im herkömmlichen Sinn sind, erzieherischen Bestimmungen dienen z.B. ein Berufsförderungswerk für Behinderte. Eine nicht erzieherisch tätige Einrichtung ist z.B. eine Sprachschule.

 

2.    Definition „Tendenzträger“

Tendenzträger sind Arbeitnehmer, welche auf die Tendenzverwirklichung maßgeblichen und verantwortlichen Einfluss nehmen können. Des Weiteren müssen überwiegend frei gestaltbare pädagogische/therapeutische Tätigkeiten vorhanden sein.

Beispiele einzelner Berufsbereiche für die Tendenzträgerschaft:
Sozialer Dienst/Begleitender Dienst:
Bei überwiegend verwaltenden, hauswirtschaftlichen, gesundheitsvorsorgenden Tätigkeiten sind, ist der Arbeitnehmer kein Tendenzträger.

Verwaltung:
Üblicherweise sind Verwaltungsmitarbeiter keine Tendenzträger, da administrativen Tätigkeiten im Vordergrund stehen.

Leitung:
Leitungskräfte sind je nach Einzelfall zu bewerten. Sind sie an der organisatorischen und inhaltlichen Überwachung und Durchführung der Maßnahme mitwirkend und leisten Konzeptarbeit, können sie als Tendenzträger gelten. Wenn sie rein betriebswirtschaftliche Aufgaben erfüllt, ist sie kein Tendenzträger.

3.    Einschränkungen für den Betriebsrat bei Tendenzbetrieben

Der Betriebsrat muss in einem Tendenzbetrieb lediglich angehört werden, hat aber meistens kein inhaltliches Mitbestimmungsrecht. Die Einschränkung der Beteiligungsrechte gilt meist dann, wenn die Maßnahme des Arbeitgebers sowohl einen Tendenzträger betrifft, als auch tendenzbezogen ist. 
Um eine tendenzbezogene Maßnahme handelt es sich, wenn die geistig-ideelle Zielsetzung des Unternehmens und deren Verwirklichung durch die Beteiligung des Betriebsrats zu mindestens ernstlich beeinträchtigt werden kann. Das ist der Fall, wenn durch das Beteiligungsrechte des  Betriebsrates die Tendenzverwirklichung (.z.B. das Grundrecht der Pressefreiheit) gefährdet werden kann. Der Betriebsrat hat  in jedem konkreten Einzelfall zu prüfen, ob und inwieweit die Voraussetzung zur Einschränkung seiner Beteiligungsrechte vorliegen.

Für Einrichtungen in der Sozialwirtschaft ist es daher wissenswert, ob ihr Unternehmen bzw. Betrieb als Tendenzunternehmen anzuerkennen ist und welche Arbeitnehmer Tendenzträger sind.

Beispiel eine Werkstatt für behinderte Menschen:
Die Betreuer wären in diesem Fall Tendenzträger, da sie einen maßgeblichen Einfluss auf die Tendenzverwirklichung (Betreuung von behinderten Menschen) nehmen können. Der Hausmeister dagegen ist kein Tendenzträger, da er mit seiner Arbeit keinen maßgeblichen Einfluss auf die Tendenzverwirklichung nehmen kann.

Organisatorische Vorschriften (§§ 1-73 BetrVG):
Hierbei ist das Beteiligungsrecht generell ohne Einschränkungen anwendbar, da sie die Abläufe des Betriebsrates betreffen. Diese sind tendenzneutral und in jeder Einrichtung gleich.
Zum Beispiel die Durchführung der Wahl oder die Zusammensetzung des Betriebsrates.

Soziale Angelegenheiten (§§ 87-91 BetrVG):
In der Regel besteht keine Einschränkung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrates, da es sich meist um den wertneutralen Arbeitsablauf der Einrichtung handelt.
Zum Beispiel die Gestaltung vom Arbeitsplatz oder Beginn  und Ende der täglichen Arbeitszeit. Ausnahmen sind aber durchaus möglich, beispielsweise bezüglich der Arbeitszeitgestaltung.

Personellen Angelegenheiten (§§ 92-105 BetrVG):
Generell ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates in diesem Punkt häufig eingeschränkt.
Beispielsweise bei betrieblichen Bildungsmaßnahmen. Soweit Tendenzträger betroffen sind, ist das Mitbestimmungsrecht eingeschränkt. Der Betriebsrat muss zwar angehört werden, kann aber nicht mitentscheiden. Wenn es um die betriebliche Berufsbildung oder innerbetriebliche Ausschreibung von Arbeitsplätzen geht, besteht das Mitbestimmungsrecht ohne Einschränkungen.

Personellen Einzelmaßnahmen (§99 BetrVG):
Wenn Tendenzträger betroffen sind, kommt eine Einschränkung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates liegt vor.  Hierbei geht es um die Freiheit des Arbeitgebers, Personen seines Vertrauens einzustellen, welche die Verwirklichung des geistig-ideellen Ziel im Vordergrund haben.
Bei Einstellungen und Versetzungen von Tendenzträgern ist das Mitbestimmungsrecht grundsätzlich eingeschränkt. Der Arbeitgeber muss zwar den Betriebsrat informieren, aber der Betriebsrat hat kein Mitentscheidungs-, sondern nur Informations-und Anhörungsrecht. Äußert der Betriebsrat Bedenken, muss sich der Arbeitgeber hiermit jedoch auseinandersetzen. Die Entscheidung über die Maßnahme darf daher erst nach Ablauf der Frist für die Stellungnahme des Betriebsrats (eine Woche) erfolgen. Ein- und Umgruppierungen betreffen in der Regel die Frage der richtigen Rechtsanwendung und sind daher tendenzfrei. Das Beteiligungsrecht des Betriebsrates ist dadurch nicht eingeschränkt.

Kündigung (§ 102 BetrVG):
Das Mitbestimmungsrecht ist eingeschränkt, wenn die Kündigung gegenüber einem Tendenzträger erfolgt und Tendenzbezug hat. Der Betriebsrat muss jedoch bei Kündigungen vollumfassend und regelmäßig angehört werden. Wenn der Betriebsrat Bedenken äußert, muss sich der Arbeitsgeber damit auseinandersetzten. Jedoch muss er diese nicht berücksichtigen. Generell steht dem Betriebsrat kein Widerspruchsrecht zu. Außer das Arbeitsverhältnis wird nicht aus tendenzbedingten, sondern aus anderen Gründen gekündigt.

Beispiel für Kündigung mit Tendenzbezug:
Die Kündigung besteht, weil der Arbeitnehmer die beschäftigten Menschen mit Behinderung mit beleidigendem Inhalt anschreit. Der Tendenzbezug besteht, weil pädagogisch angemessenes Verhalten missachtet wird. (BR hat kein Widerspruchsrecht)

Beispiel für eine Kündigung ohne Tendenzbezug:
Die Kündigung besteht, weil der Arbeitnehmer Kollegen mit beleidigendem Inhalt anschreit. Tendenzbezug besteht nicht, weil solches Verhalten von dem karitativen Zweck der WfbM unabhängig ist. (BR hat Widerspruchsrecht)

Bei Kündigungen eines Betriebsratsmitglieds sind die Beteiligungsrechte eingeschränkt (§103 BetrVG). Der BR muss angehört werden. Jedoch ist keine Zustimmung des Betriebsrates zur Kündigung erforderlich, wenn ein Tendenzträger aus tendenzbedingten Gründen gekündigt wird.

Wirtschaftliche Angelegenheiten(§§ ab 106 BetrVG):
Generell sind Tendenzbetriebe von den Vorschriften wirtschaftliche Angelegenheiten ausgeschlossen. Sie bilden daher z.B. keinen Wirtschaftsausschuss. Die wirtschaftlichen Angelegenheiten werden im Betriebsverfassungsgesetzt aufgeführt.
Die vierteljährige Unterrichtung der Arbeitnehmer über die wirtschaftliche Lage und Entwicklung des Unternehmens durch den Arbeitgeber (§ 110 BetrVG) entfällt. Der Arbeitgeber muss jedoch einmal pro Jahr auf der Betriebsversammlung einen Bericht abgeben über das Personal- und Sozialwesen, die wirtschaftliche Lage und Entwicklung des Betriebs sowie über den betrieblichen Umweltschutz (§ 43 Abs. 2 BetrVG).

Bei Betriebsänderungen ist kein Anschluss eines Interessensausgleichs erforderlich.

Beispiel für Betriebsänderungen:
-       Einschränkungen und Stilllegung des ganzen Betriebes oder Betriebsteile
-       Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren

Die Herbeiführung eines Sozialplans, die die Einigung über Ausgleich oder Milderung der wirtschaftlichen Nachteile für die Arbeitnehmer beinhaltet, ist aber nötig.

Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat umfassend über die geplanten Betriebsänderungen, die wesentlichen Nachteile für die Belegschaft zur Folge haben können, rechtzeitig unterrichten und vor allem die geplante Betriebsänderung mit dem Betriebsrat beraten. Dies dient dazu, sachangemessene eigene Vorstellungen über den Inhalt zu entwickeln und an den Arbeitgeber heranzutragen. Bei fehlender Information des Arbeitgebers sind Nachteilausgleichsansprüche der Arbeitnehmer möglich (§113 Abs.3 BetrVG). 

4.    Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass im Falle eines Tendenzbetriebs viele Einschränkungen für den Betriebsrat gelten. Somit ist es empfehlenswert zu wissen, ob Sie einen Tendenzbetrieb betreiben und welche Mitarbeiter Tendenzträger sind. Die dafür erforderten Voraussetzungen und Definitionen wurden oben genannt.

24.06.2014

Bildung in Deutschland 2014. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zur Bildung von Menschen mit Behinderung



Bildung in Deutschland 2014. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zur Bildung von Menschen mit Behinderung

Am 19. Juni 2014 erschien der, von Bund und Ländern gemeinsam in Auftrag gegebene, Bericht "Bildung in Deutschland 2014". Dieser legt eine empirische Bestandsaufnahme zum Bildungswesen in Deutschland vor und widmet sich dabei schwerpunktmäßig dem Thema "Menschen mit Behinderungen im Bildungssystem". Dieser Abschnitt des Berichts wird hier kurz zusammengefasst ohne, dass die Aussagen von Seiten der GWK an dieser Stelle eine Wertung erfahren sollen. 

Der Abschnitt "Menschen mit Behinderungen im Bildungssystem" des Berichts beginnt mit einem Auszug aus der UN-BRK (Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte der Menschen mit Behinderungen). Darauf aubauend wird Inklusion definiert. Diese bedeutet, laut Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 20.10.2011, ein „umfassendes Konzept des menschlichen Zusammenlebens“. Inklusion geht somit über Integration hinaus, da nicht mehr die Frage des angemessenen und geeigneten Förderortes im Vordergrund steht, sonder auch die soziale Interaktion (soziale Teilhabe). Dabei lässt sich die „besondere systemische Perspektive der Inklusion als Charakteristikum hervorheben“.

In einzelne Bildungsbereichen und Lebensphasen findet ein unterschiedliches Verständnis von Behinderung.  Aufgrund der Vielfätligkeit der geltenden Definitionen von Behinderung orientiert sich der Bericht an folgenden fünf zentralen Perspektiven die die gegenwärtige Situation für Menschen mit Behinderungen skizzieren sollen.
  • Beschreibung der Vielfalt der diagnostische Ansätze und Informationen zur Auftretenshäufigkeit.
  • Datenbasierter Überblick über die Angebote der Bildungsbereiche.
  • Darstellung in welchem Maße Bildungsangebote wahrgenommen werden. Untersuchung der Übergänge innerhalb des Bildungssystems.
  • Informationen über Anzahl und Qualifikation des Personals.
  • Der Frage nach dem Umfang der Ressourcen zur Förderung im Bildungssystem. 
Diese fünf Bereiche werden im Weiteren Bericht anhand statistischer Erhebungen ausgewertet und detailgenau ausgeführt. (S. 161-197) 
Abschließend werden wesentliche Herausforderungen abgeleitet, die für eine gleichberechtigte Teilhabe notwendig angesehen und hier zusammenfassend aufgeführt werden. 
  1. Die Forderung nach Inklusion trifft auf ein historisch gewachsenen Bildungssystem, das dem Grundsatz optimaler Förderung von Menschen mit Behinderungen durch institutionelle Differenzierung Rechnung zu tragen sucht. Aus dieser bisherigen Struktur ein Inklusives System zu entwickeln ist die Herausforderung. Im Schulbereich ist dabei zu klären, wo welche Schülerinnen und Schüler inkludiert werden und wo Sondereinrichtungen für temporären oder dauerhaften Besuch beibehalten werden sollen und wie diese Umsetzung erfolgen soll.
  2. Die einzelnen Bildungsinstitutionen haben ein je eigenes Verständnis von Lernen und Bildung und auch von Inklusion entwickelt und andere Unterstützungssysteme außerhalb des Bildungsbereichs treten mit ihren Ansätzen neben diejenigen des Bildungssystems. Die Herausforderung besteht darin, eine Lösung zu finden, wie sozialrechtliche Individualansprüche auch zur Optimierung von Bildungsprozessen gebündelt und systemisch von Bildungseinrichtungen genutzt werden können.
  3. In der Diagnostik entstehen Divergenzen in der Frage der Zielsetzung bei der Nutzung der Diagnostik. Soll sie auf die Feststellung des bestmöglichen Förderortes (Platzierungsdiagnostik) einer Person oder die bestmögliche individuelle Förderung (Lernvoraussetzungs- und Lernverlaufsdiagnostik) abzielen? Die bei inklusiven Ansätzen abnehmende Bedeutung von Platzierungsdiagnostik darf nicht die Nützlichkeit professioneller Diagnostik grundsätzlich in Frage stellen. Die diagnostischen Erfordernisse müssen unter Beibehaltung professioneller Stadards auch bei einem inklusiven Bildungssystem beibehalten werden. Dazu müssen auch neue diagnostische Werkzeuge entwickelt werden.
  4. Das unterschiedliche Verständnis von Behinderung der Bildungsbereiche spiegelt sich auch in dem Selbstverständnis des gewachsenen Fachpersonals wieder. Daraus ergibt sich, dass geklärt werden muss welcher Veränderungsbedarf entsteht, um den professionellen Anforderungsprofilen eines inklusiven Bildungssystems Rechnung tragen zu können. Neben der Klärung des Einsatzes unterschiedlicher pädagogischer Spezialisierungen und der Finanzierung des einbezogenen Personals für den Umgestaltungsprozess spielt insbesondere auch das Vorhandensein von Fachpersonal auf allen Ebenen eine entscheidende Rolle.
Das zusammenfassende Resümee des Berichts spricht sich für eine klare Abstimmung und Planung des  Transformationsprozesses unter Beteiligung aller an Bildung beteiligten Institutionen aus. Die Herausforderungen für die Politik besteht laut dem Bericht vor allem darin, die in im Umwandlungsprozess zu erwartenden institutionellen Interessendivergenzen auszubalancieren und die erforderliche Reallokation der Ressourcen im Sinne des Ziels von Inklusion vorzunehmen.

30.05.2014

Wohn-, Teilhabe-und Pflegegesetz für Baden-Württemberg

Mit dem verabschiedeten WTPG -Wohn-, Teilhabe-und Pflegegesetz für Baden-Württemberg möchte die Landesregierung die Teilhabe und Selbstorganisation von Menschen in Pflege- und Behinderteneinrichtungen zu fördern. Zudem soll die Bildung neuer und innovativer Wohn-und Betreuungsformen insbesondere im ambulanten Versorgungsbereich angestoßen werden.
Dieser sehr anspruchsvolle und in der Sache richtige Ansatz hin zu einer größeren Angebotsvielfalt wird jedoch, aus Sicht der GWK, durch die strenge Reglementierung innerhalb des neuen Gesetztes nicht flexibel genug ausgestaltet. So ist zu befürchten, dass die Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen, durch die hohen ordnungsrechtlichen Vorgaben an die ambulanten Wohn-/Betreuungsformen, eher ausgebremst wird.

Um inklusive Strukturen zu schaffen, braucht es ein Höchstmaß an Flexibilität, die das Gesetz jedoch nicht zulässt. Viele dieser Regelungen sind wünschenswert verhindern aber den Aufbau von ambulanten Wohngemeinschaften im baulichen Bestand. Die strikte Handhabung gilt insbesondere auch für die Regelung der Personalausstattung. Diese muss sich flexibel an der jeweiligen Bewohnerstruktur und deren Unterstützungsbedarf ausrichten und darf nicht, wie im WTPG, pauschal festgelegt werden.
Durch die Personalfestlegung entsteht weiter das Problem, dass die Heimaufsichtsbehörden zukünftig in die Betriebsführung eingreifen kann. Auch wird die Heimaufsichten in keiner Weise verpflichtet, fachlich begründete Abweichungen von Bau-und Personalvorgaben zuzulassen. Die Erprobungsregelungen laut §31 reichen hier bei Weitem nicht aus und die Träger sind weiterhin auf die „Großzügigkeit“ der jeweiligen Heimaufsicht angewiesen.

Auch für stationäre Einrichtungen werden durch dieses Gesetz neue inhaltlich-fachliche Anforderungen festgelegt. Diese und weitere ordnungsrechtliche Vorgaben, wie der 2009 erlassenen Landesheimbauverordnung, erschweren zunehmend das Angebot für ortsnahe und bezahlbare Heimplätze. Somit wird durch die Schaffung neuer Regeln in Kauf genommen, dass gewachsenen Strukturen der wirtschaftliche Boden entzogen wird.

Ferner wird im WTPG die Betreuungsform der Altenpflege und der Behindertenhilfe zusammengelegt. Dieses Vorgehen unterstellt somit, dass deren Bewohner einen zumindest vergleichbaren Hilfe-/Betreuungsbedarf haben. Auch die Zusammenlegung von vollstationären und ambulanten Einrichtungen in einem Gesetzestext zeigt, auf einer anderer Ebene, eine solche Vorstellung..
Desweiteren entsteht eine fundamentale Lücke bei der Wahrung des Schutzzweckes für das betreute und das selbstverantwortete gemeinschaftliche Wohnen. (Siehe Schaubild)

(Aus dem Vortrag vom 10. April 2014 von Ulrich Schmolz)

Zusammenfassend ist eine verstärkte Fokussierung auf die Lebensqualität von Menschen mit Unterstützungsbedarf durch dieses Gesetz erfolgt. Die strikten Regelungen verhindern jedoch die Entwicklung einer vielfältigen Angebotslandschaft und vollstationäre Einrichtungen werden mit weiteren Regelungen, ohne finanziellen Ausgleich, belastet. Somit wird nur sehr beschränkt das Wunsch-und Wahlrecht von Menschen mit Unterstützungsbedarf nach UN-Behindertenrechtskonvention gestärkt.

Wir empfehlen all unseren Kunden daher sich vor genauestens mit Thematik des WTPG und seinen Konsequenzen auseinanderzusetzen. Denn das Thema betrifft nahezu alle Träger der Sozialwirtschaft in Baden-Württemberg. Gerne stehen wir Ihnen hierbei auch beratend zur Seite.